Die folgenden Texte der Schülerinnen von Christa Mitterlehner entstanden inspiriert durch die Lesungen von Elias Hirschl und Philipp Weiss:
Kreative Reaktionen auf Elias Hirschls Roman Hundert schwarze Nähmaschinen:
Hundert schwarze Nähmaschinen in unseren Herzen
Tag für Tag und Nacht für Nacht immer dasselbe Spiel. Ein Spiel ohne Anleitung und ohne Regeln und ohne Verlierer oder Gewinner. Denn niemand kann genau sagen, wann dieses Spiel zu Ende ist. Geschweige denn ist ein klarer Spielbeginn zu erkennen. Ist es vielleicht das erste Wort, das man sich mit zunehmend schlecht gelaunter und trauriger Miene an den Kopf wirft oder ist es doch der erste Teller, der nur knapp den Kopf verfehlt und an der Wand sein bitteres Ende findet? Wenn es Regeln gäbe, würde ihnen jemand Beachtung schenken und wären sie von großer Bedeutung? Wie sehr würden sie die Situation beeinflussen? Statt in ewig langen Monologen den anderen fertig zu machen, die Regeln befolgend immer abwechselnd nur einen Satz sagen dürfen. Anstelle von Beleidigungen, Wut und Zorn den Konflikt mit ruhiger, nicht aufbrausender Sprache führen zu müssen, damit das Fass nicht durch die Explosion der Gefühle übergeht und letztendlich in die Luft fliegt? Was ist denn dann das Ende des Spiels? Wenn sich die erste Person mit tränenüberströmtem Gesicht die Wand hinuntergleiten lässt oder doch, wenn die erste Partei wütend und voller Emotionen kochend aus der Wohnung stürmt und die Tür so fest hinter sich zuschlägt, dass die Wände zu zittern beginnen? Oder ist es das Ende, wenn man überrannt von Gefühlen übereinander herfällt, um ein weiteres Mal im Schlafzimmer zu landen, anstatt die Probleme zu beseitigen? Verdrängen ist doch momentan um einiges besser. Aber wenn man dann mitten in der Nacht wach nebeneinander liegt und versucht, klare Gedanken zu fassen, ist es wieder einmal so, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Tag für Tag und Nacht für Nacht ändert sich nichts, denn schlussendlich finden sich die beiden in den Armen des anderen wieder, und müssen ein weiteres Mal feststellen, dass sie eigentlich nicht mit, aber erst recht nicht ohne einander können. Und während sie sich so herzlich umarmen, sorgen die hundert schwarzen Nähmaschinen in ihren Herzen dafür, dass die Risse wieder zusammengenäht werden. Aber mit jedem Riss, der zusammengenäht wird, stirbt eine dieser Nähmaschinen. Und was passiert, wenn auch die letzte stirbt? Das, das ist dann das Ende des Spiels.
Von Corinna Hofmann
Gedankenverloren sitzt sie im Schneidersitz auf ihrem Bett. Ihr Blick schweift von der Decke über das Bücherregal, weiter über ihren vollgeräumten Schreibtisch, vorbei an dem Gewand, das sich auf dem Boden türmt, wieder zurück zur Decke. Es ist mucksmäuschenstill um sie herum und es scheint, als würde sie in einer Blase sitzen, die sie langsam immer dicker umhüllt. In ihr rattert es pausenlos und ihre Gedanken liefern sich ein ständiges Wettrennen, von denen einer problematischer zu sein scheint, als der andere. „Konzentrier dich! Lass dich nicht immer ablenken. Du hast noch genug für die Schule zu tun!“, wären jetzt womöglich die Floskeln, die ihre Mutter gereizt in den Raum werfen würde. Wie soll sie auch wissen, dass all die Wörter so oder so nicht in ihrem Kopf ankommen werden. Stattdessen scheint die Flut der Gedanken weitaus vielversprechender zu sein. Nur ganz kurz nachgeben. Nur ganz kurz sich dem Drang hingeben. Nur ganz kurz… Vor ihrem inneren Auge zucken schwarze und weiße Blitze. Ein durchdringender Ton breitet sich überall um sie aus, doch ihr Körper fühlt sich leer an. Hallo? Ist da jemand? Alles dreht sich – doch plötzlich, stopp – Stille.
Ihr Zimmer ist nicht mehr da, stattdessen befindet sie sich in einer hohen leeren Halle, die Teil einer Fabrik sein könnte. Es riecht nach einer Mischung aus dem klassischen Kellergeruch und frisch gewaschener Wäsche. Was für ein eigenartiger Kontrast. Wie von höheren Mächten gesteuert, bewegen sich ihre Füße in eine ganz bestimmte Richtung, genauer gesagt, zu einem schmalen Gang. Wieso brennt hier überall Licht, wenn keine Menschenseele da ist? Durch den Gang gehend, leistet ihr ein neues Geräusch Gesellschaft. Diesmal ein regelmäßiges Rattern, was einem ganz bestimmten Rhythmus angehört und voluminös klingt. Durch die Neugier angetrieben werden die Schritte automatisch immer länger und länger. Sie tritt in eine weitere, mit Licht durchflutete, Halle und traut ihren Augen nicht. Vor ihr befindet sich ein Meer aus Nähmaschinen. Schwarze Nähmaschinen. Was geht hier vor sich? Eine Maschine gleicht der anderen und sie stehen alle perfekt nebeneinander. Keine weicht auch nur einen Millimeter aus der langgezogenen Schlange, die kein Ende zu nehmen scheint. Wie viele das bloß sind? Langsam geht sie an den Nähmaschinen vorbei, die alle wie durch Magie nähen, ohne dass sie jemand wirklich betätigt. 98,99,100. 100 schwarze Nähmaschinen also. Das surrende Geräusch der Stiche, die auf den Stoff hämmern, erfüllt die ganze Halle und lässt sie keinen klaren Kopf behalten, doch gleichzeitig hat es auch etwas Beruhigendes. Sie tritt näher an eine der Maschinen heran und sieht, dass sie alle nur eine gerade Linie mit einem roten Faden auf einem weißen Stoff ziehen. Keine Abweichungen. Nur die gerade Linie. Alles ist durchgeplant, nichts Unvorhergesehenes. Soll das etwa ihr Leben widerspiegeln? Geburt, Kindergarten, Schule, Studium, Hochzeit, Kinder…ist all das, was man von ihr erwartet der rote Faden? Nein, das kann nicht sein! Jeder bestimmt doch selbst sein eigenes Leben! Hört auf, hört auf, hört auf, gerade zu nähen! Näht ein Muster, Zick Zack, irgendwas. Hauptsache nicht nur eine langweilige Gerade! Sind das nur ihre Nähmaschinen? Hat jeder Mensch seine eigenen? Dieses Rattern macht einen doch verrückt. Ratatatatatata. Das ist nicht das Leben! Verzweifelt legt sie ihren Zeigefinger auf den Stoff, doch die Maschine näht einfach darüber. Sie breitet ihre gesamte Hand aus und versucht so viel wie möglich des weißen Stoffes abzudecken. Tränen laufen ihr über ihre Wangen und tropfen auf ihre Hand. Rote Tränen. Wie der Faden. Nichts kann die Nähmaschinen aufhalten und plötzlich ist sie umzingelt von all den anderen Maschinen. Die eine näht über ihren Fuß weiter und die andere über ihren Bauch. Langsam, Stück für Stück verschwindet ihr Körper und sie sieht nur mehr die roten Fäden vor sich. Die Gerade ihres eigenen Lebens frisst sie auf und kennt kein Erbarmen.
Nach Luft schnappend schlägt sie ihre Augen auf. Ihr Herz rast. Gott sei Dank, sie ist in ihrem Zimmer. Es waren nur ihre Gedankenspiele, die sie weggetragen haben. Oder? Ihre Augen brennen, sie weint und über ihren Handrücken zieht sich ein roter dünner Strich. Wie der Faden.
Von Leonie Brichard
Hunderte Schwarze Nähmaschinen
„Schwarz. Ich weiß, dass sie schwarz sind, die Nähmaschinen. Auch wenn ich das eigentlich nicht wissen kann. Und es sagt mir keiner. Es spricht nämlich generell niemand bei der Arbeit, musst du wissen. Trotzdem ist es laut.
Die Nähmaschinen? Ja, natürlich machen auch die Lärm, aber das meine ich gar nicht. Ich meine das Schreien, das Schluchzen, die Verzweiflung in mir und in jedem anderen Kopf. Ich weiß, wie sie klingt, die Verzweiflung. Auch wenn sie keiner so hört, wie man das hastige Atmen oder das Blut tropfen hört. Sie ist viel lauter und durchströmt den ganzen Körper, aber sie kommt nicht durch dein Ohr hinein. Das Blut hingegen hört man sehr wohl. Und die Tränen.
Spüren tut man diese Körperflüssigkeiten auch. Wenn sie nicht gerade, mit einer Essenz Hoffnung vermischt, aus seinem eigenen Körper austreten, dann greift man als Mensch wie ich hinein.
„Wehe ihr tropft darauf.“ Ja, das sagen sie immer, aber das fällt mir nicht leicht. Auch wenn es uns gelingt, die Stoffe davor zu retten, dann sind eben die Böden oder die ehemals schwarzen Handräder voll damit.
Es heißt auch, dass die Stoffe bunt sind. Aber das kann nicht sein. Sie fühlen sich alle so grau und farblos an, wobei das vielleicht auch an meinen vernarbten Händen liegt. Wirklich fühlen tue ich nämlich eigentlich auch nicht mehr. Dafür waren meine Arbeitsgeräte schon viel zu früh und viel zu heftig verwundet.
Der Gestank ist kaum aushaltbar. Öl, das ausläuft und kaputte Maschinen. Ich sagte doch, sie sind schwarz. Angst liegt in der Luft. Und salziger Schweiß befeuchtet meine ausgetrockneten Lippen.
Hunger? Ach, das wird überbewertet. An Essen kann ich nicht mehr richtig denken.
Ich will das alles gar nicht sehen. Das unendliche Leid zu spüren, zu fühlen und zu schmecken reicht. Es in den Gesichtern meiner Kolleginnen zu sehen, wäre zu viel für mich. Ich bin nicht zu schwach zum Arbeiten, aber zum Sehen nicht stark genug.“
Von Flora Fuchs
Unendlich viele schwarze Nähmaschinen
Wenn sich die schweren Tore der Halle öffnen würden und man bis ans Ende sehen könnte, würde man schnell feststellen, dass niemand ein Ende klar machen kann. Die hier anfangenden Muster werden bloß kleiner und führen in die Unendlichkeit. Wenn nun aber die Frau mit straffer Hochsteckfrisur und mit elegant platziertem Hut eben darauf die Halle alle drei Wochen durch die hohe Tür betritt, gibt es für sie nur das unendliche schwarz-weiß Muster zu sehen. Heute ist es also so weit. Normalerweise würde jeder stehen bleiben und das sich einem bietende Bild versuchen so gut wie möglich zu verarbeiten, doch für die Frau ist es nicht das erste und letzte Mal in der Halle. Sie ist hier, um das Muster nach und nach abzupirschen und jede Unregelmäßigkeit zu korrigieren. Wenn die Frau anfängt, durch die quadratischen, schwarzen Tische zu marschieren, gesellt sich das Klacken ihrer Schuhe zu dem immer anhaltenden, synchronen Ticken der Nähmaschinen und fühlen sich in der unendlichen Gleichheit wie die quietschende Kreide auf der Tafel an. Die ihr sofort folgende Kakophonie darf die auf den Tischen platzierten Näherinnen aber nicht irritieren. Ab und zu passiert aber genau das. Dann bleibt die Frau zwar stehen und das Ticken nimmt seinen normalen, ungestörten Lauf, doch es wird um eine tickende Maschine leiser. Zwar kann man nicht sagen, wie viele Nähmaschinen für das Ticken verantwortlich sind, doch jedes verschwindende Ticken fällt auf. Für die anderen Näherinnen ist die Stille eine Drohung. Die Stille scheint schwerer und quälender zu sein als der nervenaufreibende Takt. Alle drei Wochen breitet sich in den Reihen eine punktuelle Stille aus, doch am nächsten Tag sind die Lücken auch schon wieder geflickt. Niemand weiß, was passiert, wenn die Frau vor den eigenen Tisch kommt und ihre Füße vor dem eigenen Tisch beschließen stehen zu bleiben, darum wagt es niemand, aufzuschauen und sie beim Pirschen zu beobachten. Niemand wagt es, die schwarz-weiße Uniform abzulegen. Niemand wagt es, den Rhythmus zu unterbrechen.
Von Alina Brandstötter
Kreative Auseinandersetzung mit Philipp Weiss’ Theaterstück Der letzte Mensch:
Eine Zukunftsvision aus der Sicht einer Überlebenden
Es war Sommer des Jahres 2050. 30 Jahre waren vergangen seit dem Jahr der Verwüstung. Es gab viele Kranke und noch mehr Tote. Das Heilmittel fand man nicht und so starben die Menschen einer nach dem anderen. Nur einige wenige überlebten und auch ich zählte zu den „Glücklichen“. Der Virus konnte mir und den anderen, die wie ich waren, nichts ausmachen. Wir hatten die seltenen Antigene, die uns immun machten. Ansonsten wären wir auch einige Jahre nach dem Ausbruch gestorben. Doch mit der Krankheit war es noch nicht zu Ende. Es gab einige wenige, die das Antigen nicht hatten und dennoch überlebten. Wie, das ist uns, den Überlebenden, immer noch ein Rätsel. Aber allzu sehr hat es ihnen am Ende nicht geholfen. Nach der Krankheit kamen die Plagen: Die Ernte fiel aus und die Tiere wurden verrückt, keiner wusste sich mehr zu helfen, außer wir. Wir züchteten Hybridpflanzen in unseren Laboren und ernährten uns davon. Heute immer noch. Hin und wieder treffen wir auf eine Herde streunender Schafe, was zwar selten vorkommt, aber dennoch.
Wir sind nur noch knapp 500 Personen, die diese 30 Jahre überlebt haben. Die Apokalypse nannten wir die letzten Jahrzehnte. Denn es folgten harte Zeiten. Um ein kleines Beispiel zu nennen: 2025 war das Jahr der Dunkelheit. Fast die gesamte Elektronik war ausgefallen und somit hatten wir abends kein Licht. Besonders schlimm war es im Winter, wenn die Sonne zu früh unterging. Die Kerzen reichten nicht aus, um eine ganze Stadt zu beleuchten. Damals waren wir noch einige zigtausend. Irgendwann mitten im Frühling knipste sich das Licht von selbst an, aus dem Nichts. Es war wie ein Wunder. Viele sagten, es wäre ein Geschenk Gottes, und begannen plötzlich zu glauben, andere sagten, es sei bloß Zufall. In diesem Jahr der Dunkelheit hatten wir viele verloren, besonders in den ersten Wochen. Viele Banden zogen umher und machten nicht halt, bevor sie nicht das hatten, was sie wollten. Die schicken Wohnungen der oberen Klasse, die gesamte Nahrung aus den Supermärkten und vieles mehr nahmen sie uns. Auch die Suizidrate steigerte sich von Jahr zu Jahr. Besonders die Jugendlichen, die als Generation Z bekannt waren und zu denen auch ich zählte, hielten diese Art von Leben nicht mehr aus. Denn in unserem Fall war es kein richtiges Leben, nur ein Überleben und ein Hoffen, den nächsten Sonnenuntergang noch sehen zu können.
Die Jahre darauf folgten Naturkatastrophen aller Art: Überschwemmung, Erdbeben, Vulkanausbrüche. Die Folgen dieser klingen noch bis heute nach. Heute. Heute haben wir ein Lager für uns, die letzten Überlebenden. Wir überlegen uns täglich neue Schritte, um uns unser Leben zu erleichtern. Angefangen mit der Verteilung der Vorräte und Unterkünfte. Doch unser größtes Problem sind die Atomkraftwerke, die bald ihre Halbwertszeit erreichen. Doch wir versuchen, positiv zu denken. Wir haben schon so vieles überlebt, da werden einige Strahlen uns schon nicht umbringen.
Von Elvan Seker